Landesheilanstalt Eichberg

Mit sehr gemischten Gefühlen machten wir uns mit Zug, Fähre und Bus in Richtung Eltville auf, um die ehemalige Kinderfachabteilung der Klinik Eichberg zu sehen, die letzte Station im Leben von Emma und Adolf ...

Die Heilanstalt "Eichberg" gibt es heute immer noch. Sie heißt jetzt "Vitos- Klinik Eichberg. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie".

Bei unserem Besuch der Klinik haben wir uns überlegt, was Emma und Adolf Möbius wohl erlebt und gesehen haben und wie sie untergebracht waren. Wir erfuhren durch Gespräche und Informationstafeln einiges über die erschreckende Geschichte der Klinik.

 

Klinikgeschichte

Die »Kinderfachabteilung« in der Landesheilanstalt Eichberg, wurde 1941 eingerichtet und bestand bis März 1945. In diese Abteilung wurden zwischen 1941 und 1945 mehr als 500 Kinder gebracht.

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)
Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Der Direktor der Landesheilanstalt war ab 1936 Dr. Friedrich ­Mennecke.

Mennecke war "Untergutachter" einer Krankenmordorganisation von Adolf Hitler. Diese Organisation war nach ihrer Adresse "Tiergartenstraße 4" T4- Aktion benannt. Mennecke wertete Meldebögen von Patienten aus und entschied, ob sie "lebenswert" oder "lebensunwert" waren. (4)

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)
Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Sein Stellvertreter, Dr. Walter Schmidt, war Leiter der "Kinderfachabteilung".

 Schmidt gab in einem Prozess zu, 30 bis 40 Kinder persönlich getötet zu haben. Es waren die sogenannten „Reichsausschuss-Kinder“.

Die Kinder, die in die Kinderfachabteilung kamen, waren alle unter 9 Jahren. Sie wurden in einer Baracke am Rand der Anlage untergebracht.(5)

Es ist also möglich, dass Emma Möbius in einer solchen Kinderbaracke leben musste und schließlich von einem Klinikmitarbeiter getötet wurde.

Diese Baracke steht heute nicht mehr. Es befindet sich auch kein Hinweisschild auf dem Klinikgelände, so dass es nur Vermutungen über den Standort geben kann.

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)
Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Mit solchen Bussen wurden die "Patienten" zur Klinik gefahren. Es ist anzunehmen, dass Adolf und Emma Möbius auch mit einem solchen Bus ankamen,da sich ihre Schwester Erika lebhaft daran zu erinnern glaubt.

Spurensuche

Wir stehen auf diesem Bild vor dem vermuteten Standort der "Kinderfachabteilung"

Adolf Möbius war schon 10 Jahre alt, als er in die Klinik kam. Kinder ab 10 Jahren wurden in die Erwachsenenabteilung gebracht. Die Häuser dieser Abteilung waren völlig überbelegt. Es gab viel zu wenig zu Essen für die Patienten(5).

Es kann sein, dass Adolf Möbius durch die Unterernährung krank und schwach wurde und deshalb ca. 6 Wochen nach seiner Einlieferung verstarb.

Den Standort dieser Abteilung konnten wir nicht in Erfahrung bringen.

Einzelschicksal ?

Wir erfuhren in der Ausstellung auf dem Klinikgelände, dass Adolf und Emma Möbius keine Einzelschicksale waren.

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)
Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Heute weiß man, dass ungefähr 480 behinderte Kinder von verschiedenen Mitarbeitern der Abteilung erst zu wissenschaftlichen Zwecken beobachtet und dann getötet wurden. Die Kinder starben durch die Gabe von Medikamenten in, welche in Form von Spritzen oder Tabletten gegeben wurden.

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Ist dies Adolfs und Emmas letzte Ruhestätte ?

Adolf und Emma wurden vermutlich auf dem Gelände des Eichbergs begraben. Dr. Hellriegel2 berichtete in seinem Aufsatz:

 

"Die Eltern fuhren zur Beerdigung, sie durften das tote Kind aber nicht mehr sehen, der Sarg sollte nicht mehr geöffnet werden."

 

Wir hoffen, dass Emma und Adolf ein richtiges Begräbnis bekamen und nicht in einem Massengrab bestattet wurden.

An dieser Stelle werden alte Grabreihen vermutet.

Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)
Informationstafel in der Austellung der Vitus-Klinik Eichberg (22.1.2015)

Auf einem historischen Foto der kleinen Ausstellung auf dem Eichberg finden wir eine Grabanlage für erwachsene Patienten. So ähnlich stellen wir uns die Gräber vor, vor denen die Eltern von Emma und Adolf gestanden haben könnten.

Hier der vermutete Standort von einem Massengrab.

Würdige Erinnerung?

Bei unserer weiteren Spurensuche fanden wir eine Erinnerungstafel, leider ohne Namen.

 

Im Jahr 1993 wurde den Opfern ein Gedenkstein in Form eines Sarkophags gewidmet. Aus dem Sarkophag ragen ein Teddybär und ein Holzpferdchen heraus, scheinen aber langsam in ihn hinein zu sinken. Damit wird die Zerstörung der Kindheit symbolisiert, die für die auf den

Eichberg gebrachten Kinder Realität war. Dies erzählte uns Frau Mai von der Vitos-Klinik bei unserer Führung.

 

 

 

Hier sind wir dabei, die Inschrift zu entziffern, die da lautet:

 

 

 

In Erinnerung an die vielen Menschen, die auf dem Eichberg Opfer der NS-Zwangssterilisation und ›Euthanasie‹-Verbrechen wurden, gedenken wir – der 301 Frauen und Männer, die von 1935 bis 1939 unter Zwang sterilisiert worden sind, – der 2019 Patientinnen und Patienten, die 1940/41 über die ›Sammelanstalt‹ Eichberg in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt wurden, darunter 660 Menschen vom Eichberg, – der 476 behinderten Kinder, die von 1941 bis 1945 in einer sogenannten Kinderfachabteilung zu »wissenschaftlichen Zwecken« beobachtet und dann ermordet wurden, – der vielen Patientinnen und Patienten, die von 1942 bis 1945 durch Unterernährung und über­dosierte Medikamente gewaltsam zu Tode kamen. Ihr Leben und Tod sind uns Mahnung und Auftrag für Gegenwart und Zukunft«.

Nach unserem Besuch

Nach dem Besuch des Klinikgeländes und besonders der kleinen aber sehr beeindruckenden Ausstellung standen für uns große Fragen im Raum:

 

- Warum konnten Menschen anderen Menschen so etwas antun?

- Wie konnte es dazu kommen, dass Emma und Adolf getötet werden  

  durften?

- Wie konnten gerade Schwestern und Ärzte das Leben behinderter Kinder   zerstören anstatt ihnen zu helfen?

 

Welchen Stellenwert hatten behinderte Kinder in einer Gesellschaft, die   so etwas zuließ?

 

Um diese Fragen zu beantworten, mussten wir uns mit den Gesetzen und Befehlen der damaligen Zeit beschäftigen.

Außerdem hatten wir noch immer keinen echten Beweis dafür, dass Adolf und Emma hierher gebracht und getötet wurden, wie so viele andere Kinder. Wir wussten aber, dass sie kein Einzelschicksal darstellten, sondern wir hatten auf dem Eichberg erfahren, dass behinderte Kinder im Nationalsozialismus systematisch umgebracht wurden.

 

Wir erfuhren, dass sämtliche Dokumente der Klinik aus der Zeit der Krankenmorde im Staatsarchiv in Wiesbaden lagern.

Wir mussten einen Rechercheantrag stellen und auf Ergebnisse hoffen. Vielleicht fanden sich ja tatsächlich noch Krankenakten oder andere Hinweise.